Ein Pferd wächst bis zu seinem 7. Lebensjahr. In dieser Zeit passieren viele Veränderungen im Pferdekörper: Die Knochen werden länger, Zähne werden gewechselt, Wirbelkörper verwachsen miteinander, Muskeln entwickeln sich, Bänder und Sehnen bekommen Stabilität.

Als hätte ein Pferd damit nicht genug zu tun, fällt in diese Zeit in der Regel noch die Grundausbildung des Pferdes. Die Mehrheit der Pferde werden in ihrem vierten Lebensjahr eingeritten.

Wenn es nun im Umgang oder in der Ausbildung eines jungen Pferdes zu Problemen, Schwierigkeiten und Widersetzlichkeiten kommt, heißt es oftmals: „Der/die kommt in die Pubertät“, oder „Der/die fängt jetzt das Testen an“. Und damit ist bei vielen Pferdebesitzern klar, wie sie mit dieser „Widersetzlichkeit“ ihres Pferdes umzugehen haben. Die Antwort sieht dann in den meisten Fällen so aus, dass der Mensch „sich durchsetzen muss“, dem „Nein“ des Pferdes nicht nachgeben darf und dass man dem Pferd in dieser Zeit besonders deutlich zeigen muss, „wer das Sagen hat“…

Ich bin Mutter einer mittlerweile erwachsenen Tochter. Schon viele Hunde und Pferde sind bei mir den Kinderschuhen entwachsen, haben also ihre Zeit der „Pubertät“ bei mir verbracht. Ich kenne also die Symptome des Erwachsenwerdens bei Mensch und Tier 😉 und habe einige Erfahrungen, was diese Entwicklungsphase angeht.

Ja, es kommt in dieser Zeit häufiger zu Schwierigkeiten und ja, auch zu so genannten „Widersetzlichkeiten“. Und ich bin davon überzeugt, dass die meisten dieser Schwierigkeiten „echte“ Gründe haben. Wenn ich die Grundüberzeugung vertrete, dass mein Pferd nicht einfach nur „kein Bock“ hat, sondern tatsächlich die Probleme durch das Wachstum und seine Begleiterscheinungen ausgelöst werden, kann ich auf mein Pferd und sein Verhalten Rücksicht nehmen.

Ich muss meinem Pferd dann nicht unterstellen, dass es nicht will. Ich darf dann denken: Es kann vielleicht gerade nicht.

Wenn dein Pferd also Probleme zeigt, dann denke bitte daran, dass diese Probleme eine gut zu erklärende Ursache haben können.

Häufige Probleme in der Zeit des Wachsens sind:

 

  • Verlust der Körperbalance, sowohl an der Longe als auch unter dem Reiter
  • Verlust der Fähigkeit, zu galoppieren
  • Entwicklung von Anlehnungsproblemen
  • Wachstumsschmerzen

Der Verlust der Körperbalance

 

Nehmen wir an, ein Pferd läuft eigentlich schon prima ausbalanciert an der Longe/unter dem Sattel. Und plötzlich, „wie aus dem Himmel heraus“ zeigt es wieder große Probleme in seiner Balance. Egal ob an der Longe oder unter dem Sattel, das Pferd will sich nicht mehr so stellen und biegen, bricht über die innere oder äußere Schulter aus, will nicht mehr vom Hufschlag abwenden oder ähnliches mehr.

Hier ist oftmals das Wachstum Schuld! Pferde wachsen nicht gleichmäßig. Erst macht nur die Hinterhand einen Schuss nach oben, was dazu führt, dass die Pferde dann eine Zeit lang überbaut sind. Erst später folgt irgendwann das Wachstum der Vorhand nach. Ein überbautes Pferd neigt viel mehr dazu, auf die Vorhand zu fallen (mit allen negativen Begleiterscheinungen), als ein Pferd, welches nicht überbaut ist.

Bedenke: Das Pferd muss sich mit einer ganz anderen Statik seines Körpers auseinandersetzen!

Verlust der Fähigkeit, korrekt galoppieren zu können

 

Oftmals können Pferde eine Zeit lang nicht mehr richtig galoppieren. Diese Symptomatik findet sich häufig in der Zeit, in der das Pferd überbaut ist oder in der Zeit, in der die Wirbelkörper des Sakralgelenkes miteinander verknöchern. Jeder Rückenwirbel besitzt Wachstumszonen, die erst mit ca. 6-7 Jahren verknöchern. Während dieses Prozesses kommt es bei vielen Pferden zeitweise vermehrt zu Schwierigkeiten im Galopp. Die Pferde gehen z. B. nur noch Kreuzgalopp, können die Hinterhand nicht richtig untersetzen oder springen falsch an (Außengalopp).

Wenn du diese Probleme bei deinem Pferd feststellst, lasse den Galopp eine Zeit lang weg und teste ihn immer mal wieder an. Arbeite in der Zeit an der Gymnastizierung im Schritt und Trab. Sollte das Problem nach 6-8 Wochen immer noch bestehen, lasse dein Pferd bitte von einem Fachmann untersuchen und, wenn nötig, behandeln.

 

                        

Der Hannoveraner Losti ist zum Zeitpunkt dieser Aufnahme 5 Jahre alt und schon ein richtig großer Kerl. Trotzdem hatte er noch große Probleme und war mit vielen ihm gestellten Aufgaben überfordert.

 Entwicklung von Anlehnungsproblemen

 

Oftmals nehmen Pferde plötzlich das Gebiss nicht mehr gut an. Sie wehren sich gegen die Reiterhand, sind maulig, sperren, neigen zum Verwerfen.

Hier sollten man immer auch an die Zähne denken. Das Jungpferd wechselt bis zu seinem 5. Lebensjahr seine Zähne. Häufig entwickeln sich scharfe Kanten, die die Mundschleimhaut verletzen oder es verbleiben so genannte Reiter (nicht abgestoßene Zahnkappen), die dem Pferd schmerzhaft die Arbeit verleiden. Deswegen sollte bei einem Jungpferd alle 6 Monate das Gebiss gecheckt werden.

Aus der Sicht des Zahnwechsels gesehen, ist für das Anreiten des Pferdes mit Gebiss das Alter von 3,5 Jahren denkbar ungünstig! Das ist einer der Gründe, warum ich das Anreiten eines Pferdes immer ohne Gebiss durchführe.

Eine weitere Ursache für Anlehnungsprobleme kann sein, dass der Sattel nicht mehr passt und dem Pferd Schmerzen bereitet. Die Sattellage des Pferdes verändert sich mit dem Training. Baut das Pferd korrekt Muskulatur auf, hebt sich der Brustkorb, wodurch sich der Widerrist mehr anhebt. Deswegen ist eine regelmäßige Überprüfung und Anpassung des Sattels so wichtig.

 

Wachstum kann sehr weh tun!

 

Meine Tochter litt während ihres Wachstums häufig unter Wachstumsschmerzen. Es betraf ihre Füße, die Knie und den Rücken. Und nicht nur wachsende Knochen können weh tun. Auch das Wachstum der Muskeln. Denke nur zurück an deinen letzten richtig fiesen Muskelkater! Wir sind es dem Pferd schuldig, auf diese Schmerzen Rücksicht zu nehmen.

Es gibt einen wichtigen Leitsatz im Sport: Der Muskel wächst am Ruhetag!

Nach einer Belastung sollten wir am Folgetag nur für Bewegung sorgen, indem wir z. B. nur spazieren gehen. Nach einer größeren Belastung sollten wir dem Pferd sogar 48 Stunden Zeit für die Regeneration geben. Auch aus diesem Grund sollte ein junges Pferd nicht täglich geritten werden. Die Arbeit sollte abwechslungsreich gestaltet werden und das Pferd sollte auch ausreichend Ruhetage (Wochen/Monate) bekommen, an denen es sein Leben als Pferd mit seinesgleichen auf der Koppel genießen darf.

 

Im Zweifel für das Pferd

 

Wenn wir all diese möglichen Ursachen für die Widersetzlichkeit eines Pferdes (und das bitte nicht nur beim Jungpferd!) im Hinterkopf haben, können wir hoffentlich vermeiden, etwas von unserem Pferd zu verlangen, was es gerade nicht leisten kann. Wir dürfen dann auch das Training einer Lektion, oder auch das Reiten an sich, einfach mal eine Zeit lang bleiben lassen.

Mir ist es viel lieber, ich gebe zehnmal nach, als dass ich einmal etwas unerbittlich zu erzwingen versuche (darunter verstehe ich z. B. das Einwirken einer harten Hand, Strafe mit Gerte/Sporen, den Einsatz von Hilfszügeln), wozu mein Pferd nicht in der Lage ist. Auch mit dieser Nachgiebigkeit bin ich bisher mit meinen Pferden in der Ausbildung immer auf positive Weise weitergekommen. Meine Pferde haben das nie „ausgenutzt“.

Und so zerstöre ich durch mein „Im Zweifel für das Pferd“- Verhalten nicht die Freude an der Zusammenarbeit mit mir und vor allem zerstöre ich nicht das Vertrauen des Pferdes!

Heute ist Losti ein kraftvolles, gut entwickeltes Pferd!

Er ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, den Pferden die Zeit zu geben, die sie für ihre Entwicklung und Reifung (sowohl körperlich, aber auch psychisch) brauchen.

Foto: Nicole Heemsoth

Bleibt noch die Frage: In welchem Alter sollte man ein Pferd einreiten?

 

Sicherlich gibt es für diese Frage nicht die einzig wahre Antwort, aber das, was normal ist, nämlich ein Pferd mit drei Jahren einzureiten, ist in meinen Augen zu früh. Ich empfehle, ein Pferd nicht bevor es drei Jahre alt geworden ist, an der Longe auszubilden und es mindestens ein Jahr vom Boden aus auf das Einreiten vorzubereiten. Am Boden sollte eine gute Balance, Kraft und Grundkondition erarbeitet werden. Auch sollte das Pferd hier schon eine gute Laufmanier lernen (hier kann ich dir nur sehr die Arbeit nach dem Longenkurs und dem Aufbaukurs zum Longenkurs ans Herz legen). Für mich sollte ein Pferd mindestens 4,5 Jahre alt sein, bevor es behutsam eingeritten wird, gerne auch noch später. Das, was wir den Pferden an Zeit geben, werden sie uns hoffentlich mit einer guten, bis ins hohe Alter gesunden Konstitution danken.

Ursprünglich erschienen auf Wege zum Pferd

Aktuelle Termine

Hier findest du verschiedene Online Seminare rund um die Arbeit nach dem Longenkurs
und um pferdefreundlichen Umgang und Training mit Pferden!

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Grundsätzlich gibt es keine vorgeschriebene Reihenfolge und du kannst dich in jedes Online Seminar einbuchen.

Wenn du allerdings noch keinen Praxiskurs bei mir besucht hast oder meinen 2008 erstmal erschienenen Selbstlernkurs von Wege zum Pferd noch nicht kennst, dann empfehle ich dir mit dem "nicht trockenen" Theorievortrag zum Longenkurs zu starten. Dieser findet live alle 2-3 Monate mit mir statt.

Alle anderen Online Seminare finden nur alle 4-6 Monate live mit mir statt.

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Ziele des Longenkurses:

  • ein Pferd biomechanisch korrekt & effektiv longieren
  • mit konkreten Übungen die Muskulatur eines Pferdes aufzubauen
  • dem Pferd helfen, eine gute Balance und Selbsthaltung zu finden
  • ein Pferd optimal auf die Aufgabe, einen Reiter zu tragen, vorzubereiten
  • ein Pferd bis ins hohe Alter fit zu halten und es abwechslungsreich mit Spaß zu gymnastizieren

Seitdem ich die Pferde, die zu mir zur Ausbildung kommen, in dieser Art und Weise trainiere, gehen sie von Beginn an deutlich losgelassener in ihren ersten Einheiten als Reitpferd.

Von führenden Fachzeitschriften und Experten empfohlen:

Expertenstimmen zum Longenkurs

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