Ein Gastbeitrag von Maike Knifka

Maike Knifka ist osteopathische Physiotherapeutin und Pferdetrainerin. In diesem Beitrag erklärt sie uns die zentrale Rolle des Lumbosacralgelenks im Pferdekörper.

Das Lumbosacralgelenk ist die Verbindung zwischen Lendenwirbelsäule und Kreuzbein und hat die Aufgabe, die Bewegungen der Hintergliedmaßen stabil und effektiv auf die Wirbelsäule zu übertragen. Es darf tatsächlich nicht zu beweglich sein, denn dann geht Stabilität und Kraft des gesamten Pferdekörpers verloren.
Die gelenkigen Verbindungen der Pferdewirbelsäule, die sogenannten Facettengelenke, sind einzeln betrachtet gar nicht so beweglich, wie man vielleicht denken könnte, wenn man einmal Skelettbestandteile in die Hand nimmt. Und auch wir Menschen sind mit unserer recht mobilen Wirbelsäule nicht mit dem Pferd zu vergleichen. Bewegungen sind für das Pferd dann sicher, wenn sie stabil und effektiv ausgeführt werden können. Und hierbei steht die Ausbreitung, Weiterleitung und Übertragung der durch Muskelkraft entwickelten Körperspannung im Mittelpunkt. Das Pferd hat in besonders großem Maße die Möglichkeit zur Kraftentwicklung mit seinen massigen Muskeln, vor allem der Hinterhand und durch einen sehr hohen Anteil an Fasziengewebe auch eine effektive Spannungsweiterleitung. Spannung ist positiv und nicht mit Verspannung zu verwechseln. Durch eine ausreichend hohe Körperspannung werden die Gelenke in die Lage versetzt, sich frei gleitend bewegen zu lassen. Hinsichtlich des Bewegungsausmaßes und der Aufgabe der verschiedenen Gelenke gibt es aber enorme Unterschiede, vor allem, wenn man Gliedmaßengelenke mit denen der Wirbelsäule vergleicht. Die Übergänge von einem Wirbelsäulenabschnitt zum nächsten, also zum Beispiel vom letzten Halswirbel zum ersten Brustwirbel, sind Zonen, in denen meistens ein Wechsel der Bewegungsmöglichkeiten und der Bewegungsaufgaben stattfindet. Ein Übergang, der seit einiger Zeit vermehrt im Fokus von Diskussionen steht, ist der Übergang der Lendenwirbelsäule zum Kreuzbein. Genauer gesagt vom letzten Lendenwirbel zum Kreuzbeinflügel. Dieser Bereich ist etwas „unübersichtlich“, da der Kreuzbeinflügel sich durch die Kreuzdarmbeingelenke auch mit den Darmbeinschaufeln des Beckens verbindet.

Anlass für meine Rezension, die ihr hier verlinkt findet, war ein kürzlich erschienener Artikel über das Lumbosacralgelenk in der „Natural Horse“ Ausgabe 3/22. Da diese Rezension auf Grund des Bedarfs an ausführlicher Korrektur sehr ins Detail geht, möchte ich hier noch einmal übersichtlich veranschaulichen, um welchen Übergang es sich genau handelt, welche Aufgaben er hat und welche Bewegungen hier naturgemäß stattfinden. Und welche eben nicht. Anatomie Basics sozusagen.

Begrifflichkeiten

Die unter Fachleuten üblichen lateinischen Bezeichnungen in der Anatomie klingen gelegentlich etwas abschreckend, noch dazu sind die Übersetzungen ins Deutsche dann auf Grund der Unterschiede des Sprachaufbaus oft sehr umständlich. Daher hier einige einfache Erklärungen zum Thema lateinische Bezeichnungen der Gelenke:
Die korrekte Bezeichnung für Gelenke, weswegen man im Anatomiebuch im Register alle Gelenke unter dem Anfangsbuchstaben A findet, beginnt stets mit Articulatio, oder Art., was übersetzt in etwa „gliedern“ bedeutet. Wenn man sich gut artikulieren kann, bedeutet es daher, dass man seine gesprochenen Sätze gut gegliedert rüberbringen kann. Gelenke verbinden stets zwei Knochen miteinander, man könnte übergeordnet dieser sprachlichen Logik folgend dann auch von zwei Gliedern sprechen. Dadurch, dass es stets zwei Knochen sind, sind die Bezeichnungen für Gelenke in der Regel auch aus diesen beiden Knochen zusammengesetzt.

Ein Beispiel:

Art. lumbosacralis. etwas „eingedeutscht“ wird als Lumbosacralgelenk bezeichnet. Es steckt hier die Silbe „lumbo“ für Lende darin und „sacralis“ für Sacrum, bzw. zum Sacrum (= Kreuzbein) gehörig. Die rein deutsche Übersetzung wäre dann Lendenkreuzbeingelenk. Etwas bekannter ist das Kreuzdarmbeingelenk, das auf Latein korrekt Art. sacroiliaca heißt, oder auch Iliosacralgelenk genannt wird. In dieser Bezeichnung steckt natürlich wieder das Sacrum = Kreuzbein, da es vorne steht, aber diesmal als Silbe „sacro“ und die Silbe „iliaca“ abgeleitet von Ilium = Darmbein. Das Darmbein wiederum ist ein Bestandteil des Beckens und bildet beim Pferd die beiden mächtigen Darmbeinschaufeln, die den höchsten Punkt der Kruppe markieren.

Blick von oben auf Becken und Kreuzbein

Aufbau und Bestandteile des Lumbosacralgelenks und des Iliosacralgelenks

Der Kreuzbeinflügel hat eine bedeutende Funktion, denn an dieser Stelle findet, gelenkig betrachtet, die Umsetzung der Kraft aus den Hintergliedmaßen auf den Rumpf des Pferdes statt. Der Kreuzbeinflügel ist zum einen Gelenkpartner des letzten Lendenwirbels zur Bildung des Lumbosacralgelenks (LSG) und zum anderen Gelenkpartner der beiden Darmbeinschaufeln zur Bildung des Iliosacralgelenks (ISG). Beide Verbindungen sind sehr fest. Das LSG bewegt sich in Beugung und wenig Streckung, am besten zu sehen an den Bewegungen des Beckens, wenn das Pferd äppelt. In den beiden ISG ist beinahe gar keine Bewegung möglich, die Verbindung zu den Darmbeinen ist so fest, dass die Vereinigung von Becken und Kreuzbein als Beckenring bezeichnet wird. Das beutetet ganz einfach, dass sich immer das Kreuzbein bewegt, wenn sich das Becken bewegt und andersherum. Das Pferd überträgt in der jeweils belasteten Hintergliedmaße Kraft über die Hüftgelenke auf den Beckenring und von dort weiter über das Lumbosacralgelenk auf die Wirbelsäule. Führt man sich die Kraft eines Pferdes vor Augen, wird klar, dass diese Stelle im Körper sehr stabil sein muss.

 Kreuzbein
Die Lage des Beckens im Pferdekörper

Funktion und Aufgabe des Lumbosacralgelenks

Das Lumbosacralgelenk ist deshalb so stabil gebaut, weil es für die effektive Fortbewegung so wichtig ist, dass die Weiterleitung der Kraft aus der Hinterhand nicht unterbrochen, abgelenkt oder in eine ungesunde Richtung abgeleitet wird. Die Hinterhand entwickelt im Idealfall Schubkraft, die nur dann mit voller Kraft auf den Rumpf übertragen werden kann, wenn das Lumbosacralgelenk in seiner naturgemäßen sogenannten Nullstellung steht. Also neutral und nicht gebeugt. Gebeugt ist ungefähr gleichzusetzen mit „Buckel machen“. Vergleichbar mit unserem unteren Rücken einschließlich Lumbosacralgelenk, der auf keinen Fall rund gebeugt sein darf, wenn wir beispielsweise eine Getränkekiste hochheben. Beim Pferd wirken natürlich erheblich stärkere Kräfte und daher hat die Natur vorgesehen, dass im lumbosacralen Übergang des Pferdes gleich vier gelenkige Verbindungen plus Bandscheibe für eine sehr stabile, klare Kraftweiterleitung mit wenig Bewegungsausmaß sorgen. Und dass seitliche Bewegungen und Rotationen hier nicht vorgesehen und möglich sind, lässt sich ebenfalls aus dieser massiven Anordnung mehrerer Gelenke ablesen.

Blick von vorne auf Kreuzbein und Darmbeinschaufeln
Kreuzbein durch Lumbosacralgelenk mit dem letzen Lendenwirbel verbunden

Energiegewinnung und Energieabgabe

Die Beugefähigkeit des Lumbosacralgelenks ist tatsächlich in erster Linie für den Einsatz im Stand ohne Gliedmaßenbewegung gedacht. Beim Äppeln, Wasserlassen und beim Geburtsvorgang muss das Lumbosacralgelenk beugefähig sein. Man kann beim Äppeln sehr gut erkennen, wie das Becken steiler gestellt wird und der hintere Rücken einen „Buckel“ macht. Hierbei ist das Lumbosacralgelenk dann gebeugt. In der Bewegung wird das Lumbosacralgelenk nur geringfügig gebeugt und zwar in der Schwebephase im Trab und Galopp. Und es wird stets das gesamte Lumbosacralgelenk, also sämtliche linken und rechten Anteile, gebeugt. Diese Bewegung dient vor allem dazu, das mächtige Fasziengewebe im Bereich der Lendenwirbelsäule wie ein sehr, sehr festes Gummi zu dehnen, dadurch Kraft zu speichern, die dann zur Fortbewegung genutzt wird, wenn mindestens eine Gliedmaße wieder am Boden ist. Bleibt das LSG gebeugt, obwohl eine Gliedmaße schon wieder am Boden belastet wird, ist dies ein ungesunder Bewegungsablauf. Vergleichbar mit unserem falschen Anheben einer Getränkekiste mit rundem unteren Rücken.

Es gibt eine sehr einfache Übung, um als Mensch zu verstehen, wie wichtig ein stabiler unterer Rücken in der Übertragung der Kraft aus den Beinen ist: Die Kniebeuge.

Am Ende dieses kurzen Videos mache ich versuchsweise den unteren Rücken „rund“, stelle also das Becken steil und beuge das Lumbosacralgelenk und die LWS.

Die dadurch verursachte Instabilität kann man erkennen. Noch besser, man probiert es selbst aus.

Die Stabilität des Lumbosacralgelenks in der Bewegung

Das ist Lillebror, hier noch fünfjährig und ungeritten auf der Weide. Seine rechte Hintergliedmaße stemmt sich gerade am Boden ab, weswegen seine Sprung,- Knie- und Hüftgelenke gestreckt sind. Und sein Lumbosacralgelenk ist neutral in Nullstellung, da es hier gerade die Aufgabe hat, Kraft weiter zu leiten und nicht Kraft zu speichern. Zwar kann man das Lumbosacralgelenk hier natürlich nicht eindeutig erkennen, die Beckenhaltung und das Profil des hinteren Rückens zeigen dies jedoch indirekt.

Gleiches Pferd, andere Stimmung. Lillebror in der Schwebephase im Galopp. Vor allem seine Hüftgelenksbeugung hinten links kann man gut erkennen. Er beugt hier auch ein wenig das Lumbosacralgelenk, zu erkennen an der etwas gerundeten Lendenpartie. Eine ausgeprägtere Beugung des Lumbosacralgelenks wäre hier unnötig und es würde Instabilität drohen für den nächsten Moment…

Hier entlädt sich die zuvor gespeicherte Kraft und wird enorm verstärkt durch den Muskeleinsatz der Streckerkette (Oberlinie und Hinterseite Hintergliedmaße) hinten links. Ein gebeugtes Lumbosacralgelenk wäre hierbei äußerst ineffektiv und unlogisch, da ja eindeutig Kraft entladen wird und nicht gespeichert.

In diesem Moment der Bewegung hat Lillebror nur seine rechte Hintergliedmaße am Boden. Diese Gliedmaße hat sich einen kleinen Moment zuvor unter Belastung durch Beugung von Sprung,- Knie- und Hüftgelenk aufgeladen, ist in diesem Moment im Lot unter dem Hüftgelenk und „plant“ eine kraftvolle Stemmphase im nächsten Moment. Der hintere Rücken ist stabil.

Und genau für dieses Zusammenspiel aus kraftvollen Gliedmaßenbewegungen und einem stabilem Rumpf ist es so wichtig, dass das Lumbosacralgelenk geschlossen ist, sobald eine Hintergliedmaße sich am Boden abstößt – unabhängig davon, ob das Pferd auf der Weide tobt oder sich in höheren Lektionen befindet.

Bei Fragen wendet euch gerne direkt an Maike Knifka per EMail: maike.knifka@gmx.de

Fotos von Tania Konnerth

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